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Schlafmittel für Kinder.

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Interview

Schlafmittel für Kinder?

Das Kind schreit und will partout nicht einschlafen. Mama und Papa sind mit ihrem Latein am Ende. Alle Beruhigungsversuche sind gescheitert. Die Nerven liegen blank. Was tun? In ihrer Verzweiflung setzen Eltern immer häufiger auf eine äußerst riskante Lösung: Sie verabreichen ihren Kindern Schlafmittel.

Was nicht rezeptpflichtig und somit frei in der Apotheke erhältlich ist, kann doch nicht schädlich sein, oder? Weit gefehlt! Ärzte warnen jetzt vor diesem gefährlichen Trend.

Wir sprachen mit Herrn Dr. med. Martin Lang, Kinderarzt und Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e. V.

„Für die Eltern ist es ratsam, ihr eigenes Erholungsbedürfnis mit den biologischen Gegebenheiten ihres Kindes in Einklang zu bringen.“

Herr Dr. Lang, Sie haben seit 1996 eine Praxis für Kinder- und Jugendmedizin in Augsburg. Was sagen Sie zu diesem Trend? Können Sie die Entwicklung aus eigener Erfahrung in Ihrer Praxis bestätigen?

Tatsächlich ist der Schlaf ein häufiges Thema in der Kinder- und Jugendarztpraxis. Es betrifft im Prinzip alle Altersgruppen, besonders natürlich die Babys und Kleinkinder. Im ersten Lebensjahr ist ja das Schlafverhalten ganz anders strukturiert, als das der Eltern. Schon aufgrund der häufigen Mahlzeiten sind die Erholungsphasen in kürzere und häufigere Schlafzeiten unterteilt. Die Babys leben in einem 3-4-Stunden-Rhythmus. Für die Eltern bedeutet dies, ihr eigenes Bedürfnis nach Erholung und Regeneration umzustellen, beispielsweise am Tag mit dem Baby zusammen einen Mittagsschlaf zu machen. Medikamente zur Unterstützung? Nein, einen solchen Wunsch haben Eltern kaum geäußert. Das ist und war in den vergangenen 20 Jahren kein Thema in der Praxis. Derartige „Tipps“ verdanken wir dem Internet und den sozialen Netzwerken. Hier kann jeder ungehindert fachfremde, sogar schädliche Empfehlungen abgeben – ohne dass er oder sie in die Verantwortung genommen wird.

Um welche Wirkstoffe geht es im Speziellen – und wo liegen die Gefahren?

Die Internetdiskussion zu schlaffördernden Medikamenten betrifft Arzneien, die normalerweise zur Allergiebehandlung oder gegen Erbrechen eingesetzt werden. Als Nebenwirkung führen sie zu einer leichten Müdigkeit. Diese pharmakologische Eigenschaft verleitet unseriöse Ratgeber dazu, solche Medikamente als Schlaf- oder Beruhigungsmittel anzupreisen. Das ist hochgefährlich. Die meisten dieser Medikamente sind im Säuglingsalter überhaupt nicht zugelassen - selbst wenn sie frei verkäuflich sind. Die Wirkstoffe sind für die noch unreifen Organe eines Säuglings schädlich, sie können unter anderem zu Leberschädigung, Darmproblemen, Atemstörungen und sogar zum plötzlichen Kindstod führen. Mein Rat: Finger weg vor frei verkäuflichen Schlafmitteln im Säuglings- und Kleinkindesalter.

„Derartige Tipps verdanken wir dem Internet und den sozialen Netzen.“

Dr. med. Martin Lang

Kinderarzt Dr. med. Martin Lang.

Sie arbeiten in Ihrer Praxis auch mit Homöopathie. Gibt es homöopathische Mittel, die Eltern zur Beruhigung ihres Kindes in Ausnahmesituationen einsetzen können – oder sollte man als Laie auch hier besser die Finger davonlassen?

Homöopathische Arzneien sind stark verdünnt. Regelgerecht hergestellt enthalten sie keinen ursprünglichen Wirkstoff mehr. Vielmehr wirken sie über die Energie der Ausgangssubstanz. Daher sind Globuli nahezu nebenwirkungsfrei und können von Eltern eigenständig zur Selbsthilfe eingesetzt werden. Wenn die Homöopathie optimal helfen soll, ist allerdings umfassende therapeutische Erfahrung gefordert. Ist eine tiefgreifende Wirkung zur Schlafverbesserung gewünscht, muss man bei der Therapiewahl die Charakteristik der Arznei auf den Charakter und die Befindlichkeit des Patienten abstimmen. Zur Unterstützung eines gesunden Schlafes kenne ich ca. 60 ganz unterschiedliche homöopathische Arzneien für unterschiedliche Erscheinungsformen der Schlafstörung. So gibt es beispielsweise Kinder mit geringem Schlafbedürfnis, Kinder mit nächtlichen Ängsten, übererregbare Kinder, Trennungsängste oder Kummer und Sorgen als Schlafhindernis, durchgemachte Traumata und anderes mehr. Diese verschiedenartigen Konstellationen erfordern auch ganz unterschiedliche Behandlungsansätze in der Homöopathie.

Wie können Eltern das (Ein-)Schlafverhalten ihres Kindes positiv beeinflussen? Was raten Sie Eltern von sogenannten „Schreikindern“?

Das Wichtigste ist, selbst ruhig und gelassen zu bleiben – auch wenn das zugegebenermaßen oft schwerfällt. Auch gibt es keinen Grund Schuldgefühle zu entwickeln, weil das eigene Kind weniger gut schläft, als das der Freundin. Die Kinder leiden unter den Schlafstörungen in der Regel weit weniger, als ihre Eltern. Es ist notwendig für ihre Entwicklung, dass sie im Schlaf viel verarbeiten und durchmachen. Außerdem haben sie einen anderen Rhythmus, als wir Erwachsenen – so sind im ersten Lebensjahr 2 - 3 Wachphasen in der Nacht vollkommen normal. Für die Eltern ist es ratsam, ihr eigenes Bedürfnis nach Erholung mit den biologischen Gegebenheiten ihres Kindes in Einklang zu bringen. Eltern können sich beispielsweise in der Kinderbetreuung regelmäßig abwechseln – damit der jeweils andere Partner Erholung findet / einen Erholungsschlaf machen kann. Grundsätzlich ist ein möglichst fester und für alle Familienmitglieder passender Rhythmus sehr wertvoll.

Wo kann man mit der Aufklärung ansetzen? In welchem Umfeld erreicht man betroffene Familien am besten? Und welche Maßnahmen wurden bereits umgesetzt?

Informationen zum anders gearteten Schlafverhalten von Babys und Kleinkindern gegenüber dem der Erwachsenen bringen Verständnis und Feingefühl für die Situation. Es ist eine Erleichterung, Einschlaf- und Beruhigungsrituale zu lernen und mit dem Kind einzuüben. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Baby in den Wachphasen und viel körperliche Bewegung sind wichtig, damit die Kinder den anschließenden Schlaf genießen können. Wichtig ist es, die Signale der Überreizung zu kennen, und ihnen durch rechtzeitiges “Ins-Bett-bringen“ vorzubeugen. Und natürlich muss man vor den Gefahren verzweifelter Einschlafmaßnahmen mit Nachdruck warnen: keine Beruhigungsmittel aus der Apotheke, niemals zur Beruhigung das Baby schütteln. Ideal ist es, wenn die Beratung und Unterstützung der Schlafsituation bei den Eltern zu Hause erfolgen kann. In Augsburg haben wir seit fast zehn Jahren ein Vorzeigeprojekt: „Herzlich Willkommen Augsburger Kinder“. Alle Eltern von Neugeborenen werden angeschrieben und von erfahrenen Kinderkrankenschwestern besucht. Diese Fachkräfte registrieren die Interaktion zwischen Eltern und Kind vor Ort. Auf dieser Basis werden neue Ansätze zur Verbesserung des Schlafes und Strategien zur Beruhigung des Kindes gefunden und ausführlich mit den Eltern besprochen. Die Erfahrungen aus dieser häuslichen Unterstützung sind überzeugend und ein gutes Beispiel für ein wirksames Präventionsprogramm im Rahmen der frühen Hilfen.

Im Vorsorgeprogramm BKK Starke Kids wird großer Wert auf die ausführliche Beratung der Eltern gelegt. In diesem Zusammenhang kann auch das Thema Schlafstörungen besprochen werden. Wie schätzen Sie das Zusatzangebot ein?

Beim Thema Schlafen geraten die Kinder und ihre Eltern häufig in einen Teufelskreis. Die Eltern sind verzweifelt, da sie nicht verstehen, warum ihr Kind nicht schlafen kann. Sie fürchten, ihr Kind leide darunter, und finden selbst keine Erholung mehr. Ein ausführliches Gespräch mit dem Kinder- und Jugendarzt wirkt oft Wunder. Manchmal wird das Kind zu häufig gefüttert und Bauchdrücken verhindert den Schlaf. Oder das Kind hat zu viel erlebt und muss daher (zu) stark träumen. Manchmal hat es in den Wachphasen zu wenig körperliche Aktivität und ist daher auch nicht richtig müde. Es gibt also zahlreiche Konstellationen die einem gesunden Schlaf entgegenstehen. Im Rahmen einer gründlichen Begleitung und Beratung der Eltern, kann der Kinder- und Jugendarzt die individuellen Bedürfnisse des Kindes erkennen und Ratschläge zur Linderung des jeweiligen Schlafproblemes entwickeln. Dies erfordert Zeit und Zuwendung und sollte gegebenenfalls über mehrere Behandlungskontakte aufgebaut werden. Das BKK Gesundheitscoaching ist hierzu ausgezeichnet geeignet.

Dr. med. Martin Lang

Kinder- / Jugendarzt Augsburg

Bayerischer Landesverbandsvorsitzender
der Kinder- und Jugendärzte im BVKJ Vorstandsmitglied PaedNetz Bayern

Bundesvorstand & Länderratsvorsitzender
der Kinder- und Jugendärzte Deutschland (BVKJ)

Buchautor & Redaktioneller Beirat
von „Kind und Gesundheit“

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