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schwerpunkt

Selbstheilung.

Die Kraft,
die in uns
steckt.

Die Deutschen sind Weltmeister im Zum-Arzt-Gehen: Etwa 18-mal im Jahr suchen wir eine Praxis auf. Damit liegen wir deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Unsere Gesundheitsausgaben belaufen sich auf fast 350 Milliarden Euro, das sind mehr als 4.000 Euro pro Einwohner. Aber ist es immer notwendig, gleich zum Arzt zu gehen? Sollten wir nicht öfter auf unseren Körper und seine Selbstheilungskräfte vertrauen?

In Zeiten von überfüllten Wartezimmern und Ärztemangel in ländlichen Gebieten fangen immer mehr Menschen an, Selbstverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Vielleicht ist das ein Weg zurück, sich auf die Kräfte des eigenen Körpers zu besinnen. Schließlich spricht alle Welt von der Aktivierung der Selbstheilungskräfte. Aber wie macht man das bloß? Und muss man dafür überhaupt irgendetwas tun?

Tatsache ist, die viel beschworenen Selbstheilungskräfte stecken in jedem von uns – auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Unentwegt findet in unserem Körper Heilung statt: Da werden Zellen erneuert, Wunden geschlossen, Keime bekämpft. Selbst der Knochenbruch, der vom Arzt perfekt behandelt wurde: Heilen muss er letzten Endes von selbst. Es ist ein Wunderwerk zahlloser Prozesse, die im Körper ineinandergreifen und uns immer wieder ins Gleichgewicht bringen. Und zwar ganz von allein. Dennoch können wir die Selbstregulation unseres Körpers beeinflussen und unsere Selbstheilungskräfte stärken: durch gesunde Nahrung, regelmäßige Bewegung, Momente der Entspannung und ganz wichtig: durch unsere Gedanken und Gefühle, unsere innere Einstellung zum Leben.

„Wir neigen dazu, in der Außenwelt, beim Arzt, die Lösung zu suchen für alle Dinge, die in unserem Leben nicht gut sind. Dadurch entmündigen wir uns selbst und berauben uns der Fähigkeit, erst einmal bei uns zu bleiben.“

Prof. Dr. Tobias Esch

Prof. Dr. Tobias Esch, Arzt, Neurowissenschaftler und Gesundheitsforscher plädiert dafür, dass wir uns in Sachen Selbstheilung endlich wieder mehr zutrauen und uns unserer inneren Kräfte bewusst werden: „Schließlich sind wir die besten Experten für uns selbst und unseren Körper.“

Dass die Psyche in Sachen Gesundheit ein entscheidendes Wörtchen mitzureden hat, daran besteht längst kein Zweifel mehr. Vor allem mithilfe der noch relativ jungen Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie konnte gezeigt werden, dass unsere Gedanken und Gefühle unmittelbar Einfluss nehmen auf unseren Körper, genauer gesagt auf unser Nerven-, Hormon- und Immunsystem. Hier liegt also ein entscheidender Schlüssel zu unserer Gesund­heit – und eine große Chance, die wir alle nutzen können.

Stress als Saboteur der Selbstheilung.

Stress ist einer der größten Saboteure der Selbstheilung. Er setzt im Körper eine Reihe von Reaktionen in Gang, die ihn kurzfristig in eine sinnvolle Alarmbereitschaft versetzen, ihm aber langfristig keineswegs guttun. Sind wir ständig unter Druck und fühlen uns überfordert, steigt der Cortisolspiegel im Blut an und die Immunabwehr gerät aus dem Gleichgewicht. So werden wir anfälliger für Virusinfektionen, Hautkrankheiten sowie für Allergien und Autoimmunerkrankungen. In wenigen Jahren, bis 2020, so die Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wird Stress der Krankheitsverursacher Nummer eins sein, und zwar weltweit.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Realität keineswegs eine zwingende Voraussetzung für Stress ist. Das heißt, schon allein die Vorstellung einer möglichen Bedrohung oder Belastung kann ausreichen, um eine Stressreaktion im Körper auszulösen. Denken wir uns also krank? Oder anders formuliert: Können wir durch positives Denken und Fühlen zu mehr Gesundheit beitragen?

„Wer dauerhaft unter Stress steht, sorgt dafür, dass verschiedenste Entzündungsprozesse im Körper begünstigt werden.“

Prof. Dr. Tobias Esch

Mit Placebos Heilung unterstützen.

Wie stark die Zusammenhänge zwischen Körper und Geist wirklich sind, zeigt sich auf beeindruckende Weise in der Placeboforschung, vor allem in der Schmerzbehandlung. In einer Versuchsreihe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf wurden Probanden einem Schmerzreiz ausgesetzt. Mal ganz ohne Medikament, mal wurde vorher eine „sehr intensiv wirkende Schmerzcreme“ aufgetragen, so die Ankündigung des durchführenden Arztes. Es zeigte sich, dass die Schmerzen mit der Creme deutlich weniger stark wahrgenommen wurden – was über bildgebende Verfahren eindeutig auch im Gehirn zu sehen war.

Das Spannende an diesem Versuch: Die Creme war ein reines Placebo, also ein Medikament frei von jeglichem Wirkstoff. Was also hat hier so intensiv gewirkt? Ganz offensichtlich hat der Mensch die Fähigkeit, sein schmerzhemmendes System im Gehirn selbst zu aktivieren. Unser Glaube, unsere Gedanken und Gefühle spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Der Arzt als wichtige Schlüsselfigur.

Durch die Erkenntnisse der Placeboforschung rückt dabei vor allem das Arzt Patienten-Verhältnis in den Fokus: Denn der Arzt kann durch sein Auftreten, seine Diagnose, seine Anteilnahme und Fürsorge den Gesundheitszustand seiner Patienten direkt beeinflussen, und zwar in beide Richtungen. Ein wohlwollendes Wort von der Autorität im weißen Kittel kann bereits Wunder wirken. Ebenso wie eine negative Diagnose fatale Auswirkungen haben kann – selbst dann, wenn sie falsch ist. Das stärkste Placebo also, das belegen Studien, ist der Arzt selbst!

Geheimnisvolle Einheit

Geist & Körper

Zwar ist die Verbindung zwischen Geist und Körper noch lange nicht ausreichend erforscht, doch mehr und mehr Puzzleteile ergeben ein immer verständlicheres Bild. Lesen Sie hier: Interessantes und Kurioses aus Forschung und Wissenschaft.

Symbolhafte Darstellung der Verbindung zwischen Körper und Geist: Blick in das Innere eines gerenderten Kopfes.

Einer Gruppe von Zimmermädchen erklärte man, dass ihre tägliche Arbeit aus Staubsaugen, Bettenmachen und Putzen ein intensives Sportprogramm sei. Die andere Gruppe betrachtete ihre Arbeit wie zuvor. Nach einer gewissen Zeit zeigte sich eine erstaunliche Entwicklung: Jene Frauen, die ihren Job nun als Sport betrachteten, fühlten sich nicht nur deutlich fitter, sie hatten tatsächlich auch an Gewicht verloren.

Patienten, die auf ihre Genesung vertrauen, bilden mehr Immunzellen. Umgekehrt führt ein Gefühl von Hilflosigkeit zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen und damit zu einer Abschwächung der Antikörperproduktion.

Tibetische Mönche sind in der Lage, durch die Kraft ihrer Gedanken ihre Körperfunktionen drastisch zu beeinflussen. Durch Meditation können sie die Temperatur in Fingern und Zehen um bis zu 10 Grad erhö­hen, sie verbrauchen 60 Prozent weniger Sauerstoff und atmen nur noch einmal in anderthalb Minuten.

Im Durchschnitt haben wir täglich etwa 50.000–70.000 Gedanken, die in unser Bewusstsein treten. 80 % sind negative Gedanken über Ereignisse, die in der Vergangenheit oder der Zukunft liegen.

In einer Untersuchung bekam fast jeder zweite Asthmatiker, der glaubte, Allergene einzuatmen, Atemprobleme. Tatsächlich war die Atemluft jedoch sauber. Das zeigt deutlich, wie negative Erwartungen und Vorstellungen auf den Menschen wirken. Wissenschaftler sprechen vom „Nocebo-Effekt“.

Experteninterview

Es geht darum, auf das Gesunde zu schauen, auch im Kranken.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Tobias Esch, Professor für integrative Gesundheitsversorgung/Gesundheitsförderung an der Universität Witten-Herdecke, Facharzt für Allgemeinmedizin, Neurowissenschaftler und Gesundheitsforscher.

Herr Prof. Dr. Esch, Sie sind Experte auf dem Gebiet der Selbstheilung. Wie ist der aktuelle Forschungsstand?

Prof. Dr. Tobias Esch: Wir wissen heute, dass man die Selbstheilungskräfte auch trainieren kann. Wobei einiges trainierbar ist, aber nicht alles. Manches wurzelt in den Genen oder der frühen Kindheit. Wo diese Grundausstattung sehr dominant ist, sind Veränderungen nur sehr langsam oder schwerer zu erreichen.

Wir alle haben den „inneren Heiler“ in uns. Wie können wir wieder lernen, dieser Kraft zu vertrauen?

Prof. Dr. Tobias Esch: Der Spürsinn ist das Entscheidende. Ich kann dieses Vertrauen nur entwickeln, wenn ich in mich hinein spüre. Und das ist durchaus eine knifflige Angelegenheit. Zum einen haben wir es nicht mehr gelernt oder oft wieder verlernt, in uns hinein zu spüren, zum anderen sind die Dinge, die wir über uns erfahren, wenn wir zur Besinnung kommen, nicht immer angenehm. Viele von uns leiden unter „Stresswarnsignalen“, haben Verspannungen, Schmerzen, Verdauungsschwierigkeiten. All diese Dinge führen dazu, dass Menschen es als unangenehm empfinden können, in Kontakt mit sich zu sein. Manch einer hat bereits Angst, wenn er seinen Herzschlag spürt, und vermutet gleich einen Herzinfarkt. Deshalb ist es wichtig, eine liebevolle Haltung gegenüber sich selbst einzunehmen und erst einmal nur zu beobachten, ohne zu werten.

Immer mehr Menschen stecken in der Stressfalle. Was können wir tun, um mit Stress besser umzugehen?

Prof. Dr. Tobias Esch: Entspannung ist ein ganz zentraler Punkt. Regelmäßige Entspannungsübungen können helfen, den automatischen Stresszyklus zu durchbrechen. Das braucht allerdings einige Übung und ist richtige Arbeit. Gegen die Tendenz, über die Vergangenheit zu grübeln und sich um die Zukunft zu sorgen, helfen Achtsamkeitsübungen und Meditation. Außerdem gibt es Praktiken der Selbstfürsorge – zum Beispiel Qigong, Tai-Chi oder Yoga –, zu denen fokussierte Achtsamkeit gehört, das Ganze in Kombination mit Bewegung. Auch diese Übungen helfen uns zu entspannen.

In Ihrem Buch berichten Sie über die Mind-Body-Medizin, die Körper und Geist als Einheit betrachtet. Auch die Psychosomatik beleuchtet den Einfluss von Psyche und Geist auf den Körper. Wo ist der Unterschied?

Prof. Dr. Tobias Esch: Die Psychosomatik konzentriert sich auf pathologische, krank machende Vorgänge in Geist und Körper. Bei der Mind-Body-Medizin geht es vielmehr um salutogenetische, also gesundheitsstärkende Prozesse. Weil Körper und Geist als zusammengehörige Teile eines einheitlichen Organismus betrachtet werden, arbeitet in der Mind-Body-Medizin ein Team aus Ärzten, Psychologen, Ernährungswissenschaftlern, Bewegungstherapeuten und Gesundheitstrainern eng zusammen.

Sie haben einen sehr bewegten, wenn nicht sogar stressigen Alltag. Was tun Sie persönlich für die Stärkung Ihrer Selbstheilungskräfte?

Prof. Dr. Tobias Esch: Ich versuche natürlich die vier Säulen der Mind-Body-Medizin in meinen Alltag zu integrieren. Vor allem die vierte Säule ist für mich ganz entscheidend: nämlich nicht in die Autopilotfalle zu geraten. Wenn ich also in stressigen Situationen automatisch negative Gedanken habe, versuche ich aktiv, mich wieder selbst auf das „richtige Gleis“ zu setzen, die Dinge positiv zu sehen. Dazu gehört auch, dankbar zu sein und mich mit Menschen zu umgeben, die mir guttun. Denn Selbstheilung entsteht auch durch gute Beziehungen, durch Gemeinschaft in der Familie und im Freundeskreis.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Die 4 Säulen der
Mind-Body-Medizin.

Bewegung, Ernährung, Entspannung, Verhalten.

Erfahren Sie mehr über die 4 Säulen der Mind-Body-Medizin im Buch von Prof. Dr. Tobias Esch:
„Der Selbstheilungscode. Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit“

7 Tipps:

Vom Behandelten zum Handelnden.

01


Machen Sie sich bewusst: Sie selbst können etwas zu Ihrer Gesundheit beitragen, Sie allein sind der Kapitän auf Ihrem Lebensschiff.

02


Entdecken Sie Ihre Kraftquellen! Was tun Sie gern, was schenkt Ihnen ein Gefühl von Lebendigkeit und Freude? Theater spielen, Gedichte schreiben? Krimis lesen? Tango tanzen? Was auch immer Ihnen guttut – tun Sie es!

03


Nehmen Sie sich mehrmals am Tag kleine Auszeiten: Zur Unterstützung empfiehlt sich die App „7Mind“, die mit 7 Übungen à 7 Minuten den Einstieg in die tägliche Meditationspraxis erleichtert.

04


Dankbarkeitstagebuch: Schreiben Sie jeden Abend auf, wofür Sie an diesem Tag dankbar sind. So machen Sie sich die kleinen und großen Glücksmomente bewusst und nehmen ein positives Gefühl mit in den Schlaf.

05


Apropos Schlaf! Sorgen Sie für ausreichend Schlaf, damit schenken Sie Ihrem Körper die effektivste Regenerationszeit.

06


Sportliche Betätigung ist das perfekte Mittel gegen Stress. Selbst moderate Bewegung setzt Glückshormone frei. Ganz wichtig: Wählen Sie eine Sportart, die Ihnen Freude macht.

07


Setzen Sie die Macht der Gedanken für Ihr eigenes Wohl ein! Betrachten Sie negative Emotionen als wild gewordene Pferde, von denen Sie jederzeit absteigen können. ;-)

Weitere Themen:

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